Zäumungen und Gebisse 11. April 2017

Auf eine Frage in meinem Gästebuch hin, habe ich mich entschlossen, dem Thema Zäumungen und Gebisse einen eigenen Beitrag zu widmen. Das habe ich bisher vermieden, da viele Reiter das Gebiss selbstverständlicherweise und oft unbewusst als Zwangsmittel benutzen. (Jeder kann sich selbst mittels einer Zugwaage prüfen, die zwischen Zügel und Gebiss eingeschnallt wird, diese Gewichtsmessgeräte gibt es mittlerweile sehr günstig.)

Dieser Artikel richtet sich demnach an verantwortungsbewusste, denkende und fühlende Pferdemenschen!

Wie immer stellt dieser Artikel einen Erfahrungsbericht von mir ganz persönlich dar ohne Anspruch auf Vollständigkeit und ohne Allgemeingültigkeit.

Jedes Pferd ist ein Individuum und jeder Reiter muss selbst herausfinden, welche Zäumung die richtige Lösung für ihn und sein Pferd ist.

 

Lange Zeit war ich abgeneigt von jeder Art von Gebissen. Meine Erfahrungen sowohl im Freizeitreiterbereich als auch bei den FN sowie den Westernreitern hatten mir gezeigt, dass die wenigsten Pferde ihr Gebiss mochten und dass dieses oft als Zwangsmittel verwendet wurde.

Ich machte mich deshalb auf die Suche nach einer gebisslosen Alternative. Von Bosal über Nasband über mechanische Hackamore über Seilzaum über LG-Zaum und vieles mehr habe ich so alles ausprobiert, was die Literatur und der Markt hergab. Immer mit einem Horchen ins Pferd hinein…

Viele Fotos auf www.meinPferdetraum.de zeigen noch diese Phase des Probierens. Hängengeblieben bin ich bei einem einfachen Ledernasband, das ich jeweils für Lea und Smokey in einer Sattlerei maßanfertigen ließ. Damit liefen Lea und Smokey zufrieden, die Wirkungsweise ist direkt und einfach. Ähnlich dem kolumbianischen Bosal.

Ein Einschnitt in meiner Glaubensfrage der gebisslosen Zäumungen entstand, als mir unsere Pferdephysiotherapeutin riet, für Smokey ein Gebiss zu verwenden und Abkauübungen zu machen. Smokey hatte immer wieder Verspannungen im Kieferbereich und dadurch auch im Genick bis in den Schulterbereich hinein. Anfangs machte ich die Übungen nur zögerlich und immer nur vor dem Reiten. Während dem Reiten schnallte ich kein Gebiss ein oder das Gebiss nur “blind”, indem ich daran keine Zügel befestigte, sondern die Zügel nach wie vor in die gebisslose Zäumung einschnallte.

Damals kam ich bereits zu der Einsicht, dass ein Gebiss durchaus positiv für ein Pferd sein kann, da Smokey mit Freude sein Gebiss aufnahm und die Entspannungsübungen deutlich genoss.

Immer noch war ich allerdings weit davon entfernt ein Gebiss zum Reiten oder zur Bodenarbeit zu benutzen. Meine Abneigung vor diesem Stück Metall war einfach zu groß.

Das sollte sich ändern als ich meine Reitweise änderte. Ich kam weg von der Art und Weise das Pferd mit den Hilfen einrahmen zu wollen. Stattdessen fing ich an das “Trennen und Auslassen der Hilfen” zu praktizieren. Bei dieser Art der Reitweise (in Anlehung an die französische Legerete und/oder der altcalifornischen Buckaroos) ist das Gebiss da um das Pferd im Kiefer zu entspannen.

Um dies zu verstehen und auch gefühlsmäßig zu akzeptieren brauchte ich wieder ein Zeit lang…. und es kam mir eine Erfahrung am eigenen Leib dazu.

Bei einem Zahnarztbesuch wurde festgestellt, dass ich nachts mit den Zähnen knirschte und dass dadurch bereits mein Unterkieferknochen Schäden aufwies. Ich bekam eine Beissschiene für nachts und es wurde mir empfohlen in Situationen, in denen ich mich konzentrieren muss (denn da biss ich auch die Zähne zusammen und knirschte) Kaugummi zu kauen oder wie ein Fisch beim Atmen den Kiefer auf und zu zu klappen, um die Kiefermuskulatur und damit auch den Nacken zu entspannen.

Leider war ich nicht konsequent genug mit den Anweisungen des Arztes weshalb ich eine Entzünung am (überreizten) Gesichtsnerv bekam sowie eine Verhärtung der Muskulatur im Nacken. Über Krankengymnastik und verschiedene Therapien konnte ich das zum Glück wieder gut auskurieren.

Und seitdem habe ich verinnerlicht: wenn ich mich verkrampfe – dann sanft den Mund auf und zu bewegen. Dadurch entspannt sich der Kiefer sowie der Nacken und damit der gesamte Rücken.

Soviel zum Ausflug in die menschliche Anatomie…. ;-). Jedenfalls kam ich zu jener Zeit und zu den Erfahrungen, die ich am eigenen Leib spürte zu der Überzeugung, dass ein Gebiss dem Pferd wahrlich gute Dienste leisten konnte und die Suche nach dem richtigen Gebiss begann.

Darüber könnte ich wohl eine eigene Forschungsarbeit schreiben, da ich über 20 Gebisse ausprobiert habe. So manches Exemplar ist auf den Fotos auf meiner Webseite festgehalten.

Ich möchte an dieser Stelle nochmal betonen, dass sich meine nachfolgende Empfehlung an Menschen richtet, die NICHT in sog. Anlehnung reiten, die ihr Pferd NICHT ans Gebiss treiben, die ihr Pferd NICHT mit der Gewalt eines Gebisses einschüchtern, sondern NUR an jede, die einfühlsam und ohne Dauerkontakt mit diesem “Werkzeug” umgehen. Natürlich ist es notwendig, dem Pferd vorher die Wirkung des Gebiss zu zeigen. Mit Hilfe von Bodenarbeit, etc. Auch der Reiter muss seine Fingerfertigkeit und sein Feingefühl trainieren, um sanft einwirken zu können. Nie darf das Pferd Schmerzen durch eine ungeschickte Hand empfinden!

Bei Lilly verwende ich das Gebiss derzeit zusammen mit dem Kappzaum – also mit vier Zügeln. So kann ich anfangs die Wirkung kombinieren und dem Pferd das Verstehen vereinfachen. Es versteht sich: Niemals darf am Gebiss geruckt oder gezogen werden! Weiterhin reite ich auch oft komplett gebisslos mit einem einfach Nasband (Kolumbianisches Bosal).

Ich verwende mittlerweile nach vielen Experimenten (DANKE Lea und Smokey für Eure Geduld!!) für alle drei Pferde ein Mullen Mouth Gebiss. Das ist eine ungebrochene Stange ohne sog. Zungenfreiheit mit Baucher-Aufhängung.

Beispiel Trense Mullen Mouth Stangengebiss mit Oberbaum (Baucher – Aufhängung)

Dieses Gebiss gibt es auch mit Hebelwirkung sprich Unterbaum (das Pelham oder die Fahrkandare entsprechen dieser Art von Gebiss).

Beispiel Fahrkandare Postkandare Mullen Mouth (auch erhältlich in Ausführungen von Pelham oder Kimblewick)
Beispiel Mullen Mouth Western Bit mit Ober- und Unterbaum

Das Gebiss (egal ob mit oder ohne Unterbaum) liegt durch die Aufhängung mittels Oberbaum ruhig, präzise und immer richtig herum im Maul des Pferdes.

Bitte auf die Wahl der richtigen Größe (Maulbreite des Pferdes) achten. Das Gebiss sollte so dünn wie möglich sein, um möglichst wenig Platz im Maul zu gebrauchen. Es sei auch noch erwähnt, je länger der Unterbaum ist, desto langsamer wirkt das Gebiss, da der Hebel viel länger ist.

Dadurch dass das Gebiss nicht gebrochen ist, wirkt es bei Kontaktaufnahme lediglich auf den fleischigen Muskel Zunge oder bei aufwärtsführenden Zügelhilfen in Richtung der flexiblen Maulwinkel auf das Pferd ein.

Wie gesagt wir reiten OHNE Anlehnung an das Gebiss, deshalb erfolgt auch kein Dauerquetschen der Zunge, sondern lediglich ein Impuls der das Pferd veranlasst das Maul zu öffnen – mehr nicht! Stellung und Biegung werden immer im Vorfeld über den Kappzaum, bzw. eine gebisslose Zäumung erarbeitet. Das Gebiss wird immer nur kurzzeitig impulsartig verwendet. Niemals mit Dauerzug.

Die Hilfengebung mit den Zügeln (nicht mit dem Gebiss!) erfolgt ansonsten am Pferdehals anliegend (vgl. auch die Ausführungen der Wirkungen der Zügel nach Jean-Claude Racinet). Natürlich muss sowohl das Pferd als auch der Reiter die Bedeutung und den Umgang mit den Hilfen erst erlernen.

Die Hilfen sind immer dazu da einen Zustand zu verändern oder herbeizuführen, niemals um einen Zustand aufrechtzuerhalten.

Ein gebrochenes Gebiss wirkt immer auf die empfindlichen fleischlosen Laden des Pferdes. Dass dies der empfindlichste Teil des Pferdemaules ist kann Jeder -bitte vorsichtig!- selbst ausprobieren. Auch Gebisse mit sog. Zungenfreiheit berühren bei Einwirkung die empfindlichen Laden des Pferdes.

Fazit: Mit einer Stange kann ich also die schmerzempfindlichen Laden des Pferdes schonen und so auf das Pferd einwirken, dass das Pferd erinnert wird, durch kurzzeitiges leichtes Öffnen des Maules, seinen Kiefer und damit sein Genick zu entspannen. Weiterhin ist eine seitwärtsführende Hilfe möglich und für das Pferd logisch nachvollziehbar und verständlich.

Und so lernen Pferde tatsächlich ihr Gebiss zu lieben, weil es ihnen Wohlgefühl und Entspannung verschafft. Immer vorausgesetzt, der Reiter geht mit Feingefühl und der richtigen “Technik” ohne Dauerkontakt an die Ausführung.

Das alles mag sich für Reiter, die noch nicht mit Reitweisen und Zäumungen “geforscht” haben, ulkig anhören….. aber wie gesagt: probiert es aus und lasst Euer Pferd entscheiden 🙂 ! Zum Erarbeiten des Gebissverständnisses von Pferd und Reiter möchte ich die Bücher und Veröffentlichungen von Jean-Claude Racinet und Pascale Bertier-Herzog empfehlen.

Smokey und ich in mentaler “Anlehnung” horchend und fühlend

 

Lea und ich in feinem Kontakt beim Volte-Verkleinern. Stellung und Biegung werden über den Sitz des Reiters kommuniziert nicht über das Gebiss.
Lilly mit vier Zügeln. Ein Paar Zügel eingeschnallt in der Stangen-Trense ein weiteres Paar im Semikappzaum.

Da dieser Bericht auf keinen Fall eine “Werbebotschaft” für Gebisse werden soll, sondern lediglich ein Erfahrungsbericht, möchte ich nochmal auf die gebisslosen Zäumungen zurückkommen, die ich nach wie vor sehr gerne für alle meine Pferde verwende.

Ich bin nach wie vor ein Befürworter der gebisslosen Zäumungen.

Mein Favorit ist wie gesagt ein einfaches Nasenband aus Leder, das ich in den normalen Zaum einschnalle. Mit dieser Ausführung bin ich bzw. sind meine Pferde sehr zufrieden. Vermieden werden sollten meiner Erfahrung nach alle Zäumungen, die das Maul des Pferdes bei Kontakt zupressen. z.B. die mechanische Hackamore oder diverse Erfindungen im modernen Reitsport bei denen die Zügel überkreuz einwirken. Wie wir nun wissen, ist es ganz wichtig, zur körperlichen und mentalen Entspannung des Pferdes, dass das Pferd das Maul öffnen kann. Deshalb darf auch der Kappzaum niemals zu eng geschnallt werden.

Es sei auch nochmal daran erinnert, dass ein gebissloser Zaum nicht unbedingt sanfter wirkt als ein Gebiss.

Alles liegt im wahrsten Sinne der Worte in der Hand des Reiters!

Lilly mit Nasband – Kolumbianisches Bosal – Lederriemen nach Maß mit Kinnriemen eingeschnallt in ein normales Trensenkopfstück

 

 

Ergänzung 20. April 2017 aufgrund einer Nachfrage:

Das Billy-Allen-Bit wirkt ähnlich und genauso sanft und präzise wie eine Mullen-Mouth-Stange. Durch die starre Verbindung der beiden Gebisshälften des Billy-Allen-Bit knickt das Gebiss nicht ab und somit kann das Gebiss die Zunge und die Laden des Pferdes nicht einquetschen. Lediglich die unabhängig voneinander drehbaren Gebisshälften des Billy-Allen-Bit haben etwas gemeinsam mit einem gebrochenen Gebiss. Ansonsten wirkt das Billy-Allen-Bit wie eine Stange – siehe Beschreibung weiter oben….